
Wanderungen in ein fremdes Land
Migration prägt deutsch-polnische Nachbarschaft seit langem. Nach den Zwangsarbeiter*innen des Kriegs und den Vertriebenen kommen seit 1956 die deutschstämmigen Aussiedlerinnen in mehreren Wellen – auch wenn Polen die Existenz einer größeren deutschen Bevölkerung lange geleugnet hat. Doch als nach dem Warschauer Vertrag die Aussiedlung vertraglich ermöglicht wird, treffen allein in den 1970er-Jahren 200.000 in der Bundesrepublik ein, Tausende in der DDR. Die aussichtslose Lage nach Verhängung des Kriegsrechts Ende 1981 führt zu einer Massenabwanderung aus Polen. Unter denen, die bis 1989 ihr Aussiedler-Glück in Deutschland suchen, sind auch viele, die völlig in die polnische Gesellschaft und Kultur integriert sind.


»Mein Vater ist ein Chamäleon. Seine letzte Wandlung war die vom deutschen Polen zum polnischen Deutschen. Ich weiß immer noch nicht, ob sie ihm gelungen ist.«
Journalistin Alice Bota in dem gemeinsam mit Özlem Topçu und Khuê Pham veröffentlichten Buch Wir neuen Deutschen, 2012
Das ersehnte Ziel im Kapitalismus erkaufen sie sich vielfach durch Statusverlust und Identitätskrisen. Neben den bis 1990 insgesamt anderthalb Millionen Aussiedler*innen kommen politische Flüchtlinge – in den 1980er-Jahren mehr als 200.000.
»[…] ich bin der Sohn einer polnischen Putzfrau, der Neffe putzender polnischer Tanten. Die ersten Schritte im ersehnten Wirtschaftswunderland wurden von polnischen Frauen auf Knien gemacht: Sie wischten und polierten, sie drangen mit ihren Händen in die dunklen, in die dreckigen Ecken der Republik. Dem Armenhaus Polen entkommen, putzten sich Polinnen einen tief ersehnten Wohlstand herbei.«
Journalist Adam Soboczynski 2006 in Polski Tango
Doch das ist nur ein Teil der Migration. Schon in den 1980er-Jahren kommen immer mehr Saisonarbeiter*innen. Das bleibt auch nach der politischen Wende noch lange so, oft reisen mehrere hunderttausend Menschen im Jahr zum Erdbeerpflücken, Spargelstechen oder Gerüsteschleppen an.
Nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union und der Aufhebung der letzten Zuwanderungsbeschränkungen 2011 verstärkt sich die Zuwanderung erneut, sodass 2020 rund 2 Millionen Personen mit polnischem Migrationshintergrund in Deutschland leben. Dagegen nimmt sich die Zahl deutscher Migrant*innen in Polen immer noch bescheiden aus.
»Polnische Spargelstecher sind so gut:
Entertainer Harald Schmidt, 2007
Den holzigen Spargel verlegen die abends unaufgefordert als Parkett.«
Einstige Stereotype haben sich oft ins Gegenteil verkehrt: Ohne die tüchtige Hilfe aus dem östlichen Nachbarstaat wären ganze Bereiche der deutschen Wirtschaft kaum mehr denkbar, von der Altenpflege bis zur medizinischen Versorgung im Grenzgebiet an Oder und Neiße. Für Polen bedeutet das einen dramatischen Aderlass teils gut ausgebildeter Arbeitskräfte, auseinandergerissene Familien, gleichzeitig aber auch einen steten Kapitaltransfer ins Land.