Keine Zukunft ohne Vergangenheit

»Deutsche und Polen stehen beieinander und ziehen am selben Strang.« Die Worte, die Bundespräsident Joachim Gauck am 1. September 2014 auf der Danziger Westerplatte spricht, lassen vermuten, dass der Prozess der Versöhnung zwischen Deutschen und Polen weit gediehen, ja schon vollzogen ist. Doch ein Jahr später gewinnt die rechte Partei Recht und Gerechtigkeit die Wahlen, nicht zuletzt mit dem Vorwurf an Deutschland, die Schuld des Kriegs nicht genügend aufgearbeitet zu haben und Polen nicht ernst zu nehmen. Bald darauf kündigt Warschau an über Kriegsreparationen von Deutschland nachzudenken. Nach Jahren einer weitgehend harmonischen politischen Nachbarschaft zieht ein neuer Ton in die Beziehungen ein. Polens neuer Weg, seine Interessen in Europa zu vertreten, führt vor allem in den Medien zu hitzigen Debatten. Dennoch laufen die etablierten bilateralen Kontakte weiter, und auch die Kriegs-Erinnerung wird gewürdigt. Allein im Spätsommer 2019 reisen Außenminister Heiko Maas zum 75. Jahrestag des Ausbruchs des Warschauer Aufstands sowie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel zum 80. Jahrestag des Kriegsbeginns nach Polen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der polnische Staatspräsident Andrzej Duda am 1. September 2019 in der Kleinstadt Wieluń, die 80 Jahre zuvor erstes Ziel eines deutschen Luftangriffs geworden war. picture alliance / pap 

»Wir bemühen uns sehr, nicht in die Tiefen der Geschichte einzutauchen, um unsere Zusammenarbeit nicht zu erschweren und um die Geschichte nicht zur Barriere zwischen uns werden zu lassen. Aber für die Jugend ist der Krieg sehr weit weg.«

Mitarbeiter eines polnischen Kulturzentrums zum deutsch-polnischen Austausch (aus einer DPI-Studie zu Städtepartnerschaften), 2020

Währenddessen entwickeln sich die ökonomischen und gesellschaftlichen Beziehungen. Anfang 2020 überholt Polen das Vereinigte Königreich und wird zum fünftgrößten Außenhandelspartner Deutschlands. Umgekehrt ist Deutschland mit Abstand der wichtigste Handelspartner Polens. Auch der gesellschaftliche Austausch intensiviert sich noch, sei es durch Migration, sei es durch Kontakte von Vereinen, Initiativen oder Kommunen. Rund 600 Städte und Gemeinden beider Länder haben sich miteinander verschwistert, und die Zahl der Schulpartnerschaften ist kaum mehr überschaubar.

Die EU hat viele Themen auf der Agenda, die auch das Zusammenwirken von Deutschland und Polen erfordern: Angela Merkel (rechts) im Gespräch mit dem polnischen Premierminister Mateusz Morawiecki (links) bei einem EU-Gipfel in Brüssel im Oktober 2020, im Hintergrund die Amtskollegen Andrej Babiš (Tschechische Republik) und Alexander de Croo (Belgien). picture alliance / ASSOCIATED PRESS 
×


zurück zur Übersicht

2010–2020