
Erste Schritte aufeinander zu
Die einen wittern Verrat und »Ausverkauf deutscher Interessen«, für die anderen ist die Zeit überreif für normale Beziehungen der Bundesrepublik nach Polen: Der Abschluss des Warschauer Vertrages ist in der BRD äußerst umstritten. Vertriebenenverbände und die Opposition der CDU/CSU werfen Brandt vor, die Bundesrepublik sei vor Abschluss eines Friedensvertrages mit den Siegermächten gar nicht berechtigt, auf Gebiete östlich der Oder-Neiße-Grenze zu verzichten. Nach polemisch und kontrovers geführten Debatten übersteht die Regierung Brandt-Scheel ein konstruktives Misstrauensvotum nur knapp.


Schließlich können im Sommer 1972 die Verträge ratifiziert und anschließend diplomatische Beziehungen aufgenommen werden. Der Weg ist frei für eine politische Normalisierung und eine kulturelle Annäherung. Neben dem Warschauer Vertrag selbst bildet das Kulturabkommen zwischen Polen und der Bundesrepublik, das Edward Gierek und Brandts Nachfolger Helmut Schmidt im Juni 1976 unterzeichnen, eine Grundlage für kulturelle Beziehungen.
»Das war rundherum gut, ohne dass es einen falschen Ton gegeben hat.«
Edward Gierek zu Dietrich Genscher zum Abschluss seines Besuchs in der Bundesrepublik im Juni 1976
Unter anderem werden die Förderung des Sprachunterrichts sowie die Entwicklung der germanistischen beziehungsweise polonistischen Studien gefordert. Erste Städtepartnerschaften entstehen genauso wie Deutsch-Polnische Gesellschaften, es gibt Polenwochen und eine Intensivierung wissenschaftlichen Austauschs.
»Der Frieden in Europa wird schließlich nur Wirklichkeit werden, wenn er mit Polen gewonnen wird.«
Aus dem Aufruf »Friede mit Polen« an die Bevölkerung Hamburgs vonseiten der 1972 u. a. von der Schriftstellerin Annaliese Wulf frisch gegründeten Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Hansestadt

Mit der Normalisierung der Beziehungen werden ab 1972 offiziell deutsch-polnische Schulbuchgespräche möglich. Sie widmen sich der Darstellung der jeweils anderen Geschichte und Kultur, den gemeinsamen Beziehungen und dem wechselseitigen Bild der Deutschen und Polen. Die kritische Revision von Lehrwerken mit ihren negativen Stereotypen, deren Ursprünge weit über den Nationalsozialismus hinaus in die Vergangenheit reichen, ist dringend notwendig. Die Dekonstruktion von Stereotypen und »Schauermärchen« und die Suche nach einer neuen, verbindenden Erzählung werden noch Jahrzehnte andauern.