
Eine Grenze und drei Staaten
Ausgerechnet eine Grenze steht nach dem Zweiten Weltkrieg im Zentrum der Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und den beiden deutschen Staaten: Im Mai 1969 erklärt der Parteichef der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei Władysław Gomułka, mit der Bundesregierung ein Abkommen über die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens schließen zu wollen. Nach Hinweisen auf eine geplante Neuausrichtung der Bonner Ostpolitik sieht er nun die Gelegenheit zur Normalisierung der Beziehungen.
»Auf ein Grenzprovisorium, wie es Bonn vorschlägt, wird sich Polen niemals einlassen. Für uns […] gibt es kein Grenzproblem, nur ein Problem des Friedens, das ganz Europa betrifft.«
Władysław Gomułka, Mai 1969

Völkerrechtlich ist das Problem eng mit der Frage nach einer künftigen Wiedervereinigung Deutschlands und dem weiteren Aufbau einer europäischen Friedensordnung verknüpft. Die ehemaligen Westalliierten hoffen, Polen zu mehr Unabhängigkeit von der Sowjetunion zu verhelfen. Die »wiedergewonnenen Gebiete« können in Polen umso besser geschichtspolitisch instrumentalisiert werden, je bedrohter sie erscheinen. In der Bundesrepublik besitzen die von Flucht und Vertreibung aus den ehemaligen Ostgebieten Betroffenen nach wie vor großes Gewicht und die »Vertriebenenverbände« sorgen für politische Virulenz und eine Tabuisierung der Grenzfrage. Für die DDR-Bürger gilt wiederum das Tabu der »unantastbaren Friedens- und Freundschaftsgrenze« unter umgekehrten Vorzeichen.
